Kreislaufwirtschaft: Durchschnittlicher Score liegt nur bei 8 Prozent

Corrado Gaudenzi, Head of Long Term Sustainable Strategies bei Eurizon

Das derzeitige Produktions- und Konsummodell gefährdet das Wohlergehen künftiger Generationen, da es auf der intensiven Ausbeutung von Natur- und Umweltressourcen beruht. Öffentliche Regulierungsbehörden und private Organisationen erkennen die unzureichende Nachhaltigkeit des derzeitigen Entwicklungsmodells an und sind sich einig, dass dieser Trend umgekehrt und die wirtschaftliche Entwicklung von der Ausbeutung des natürlichen Kapitals losgelöst werden muss, indem der Übergang von einer linearen Wirtschaft („Take – Make – Waste“) zu einer Kreislaufwirtschaft (CE) gefördert wird.

Die Kreislaufwirtschaft zielt darauf ab, Produkte und Materialien so lange wie möglich in Gebrauch zu halten, Abfälle, Umweltverschmutzung und die Verwendung neuer Materialien bereits in der Phase der Produktentwicklung zu minimieren und das ehrgeizige Ziel, das in den letzten Jahrzehnten verloren gegangene Naturkapital zu regenerieren. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert den Ersatz von Naturkapital durch eine stärkere Nutzung von Humankapital, das für Innovationen und die Gestaltung neuer, stärker kreislauforientierter Produktionsprozesse erforderlich ist.

Dabei kommt den Asset Managern eine doppelte Rolle zu: Einerseits müssen sozial verantwortliche Investoren die Einführung der Kreislaufwirtschaft durch die Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, fördern, andererseits müssen sie im Einklang mit den treuhänderischen Mandaten die finanziellen Auswirkungen des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft in die Investitionsentscheidungen einbeziehen.

Großer Wettbewerbsvorteil für kreislauforientierte Unternehmen

Unternehmen, die sich bereits auf diesem Weg befinden und im Prozess zur Kreislaufwirtschaft führend sind, können dank einer größeren Unabhängigkeit vom Rohstoffmarkt und durch die Einführung von Geschäftsmodellen, welche die Loyalität ihrer Kunden erhöhen, einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten erlangen. Diese Unternehmen könnten mittel- bis langfristig in der Lage sein, ihre Kosten zu senken und ihre Erträge zu steigern und gleichzeitig die Volatilität zu begrenzen.

Leider wird die Identifizierung von Unternehmen mit diesen Eigenschaften durch das Fehlen einer detaillierten und standardisierten Berichterstattung der Unternehmen erschwert. Um den Grad der Kreislauffähigkeit von Unternehmen zu messen, verwendet beispielsweise Eurizon ein Framework, das intern entwickelt und seit 2021 eingesetzt wird. Es analysiert die öffentlich zugänglichen Unternehmensberichte der wichtigsten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, identifiziert und sammelt manuell alle relevanten quantitativen Informationen, normalisiert die Daten, um sie vergleichbar zu machen, und gruppiert sie in drei verschiedene Kategorien, die jeweils ein eigenes Gewicht haben: den Produktionsprozess (65 %), das Geschäftsmodell (25 %) und die Qualität der ergriffenen Initiativen (10 %).

Unternehmen setzen auf Umgestaltung des Produktionsprozesses

Die Analyse der Daten, die aus den Unternehmensbilanzen 2022 gewonnenen wurden, zeigt, dass auf einer Skala von 0 bis 10 der durchschnittliche Grad der Kreislauffähigkeit der großen westlichen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes nur 0,794 beträgt. Das bedeutet, dass der Grad der Kreislauffähigkeit bei etwa 7,94 % liegt, während die Unternehmen mit der höchsten Kreislauffähigkeit je nach Sektor Werte zwischen 15 % und 30 % erzielen. Die Unternehmen, welche den Übergang zur Kreislaufwirtschaft anführen, konzentrieren sich derzeit stärker auf die Umgestaltung des Produktionsprozesses (durchschnittliche Kreislauffähigkeit 7,85 %), während die Umstellung des Geschäftsmodells noch in den Kinderschuhen zu stecken scheint (durchschnittliche Kreislauffähigkeit 0,69 %) Die Sektoren des verarbeitenden Gewerbes mit den höchsten Durchschnittswerten sind der Konsumgüter- und der Werkstoffsektor. Und der Sektor mit dem höchsten Durchschnittswert bei der Einführung eines stärker kreislauforientierten Geschäftsmodells ist der Industriesektor, wenn auch mit einem noch sehr niedrigen Wert mit durchschnittlicher Kreislauffähigkeit von 1,33 %.

Noch ein langer Weg bis zum Ziel

Diese Zahlen zeigen, dass die Kreislaufwirtschaft noch in den Kinderschuhen steckt und dass es für alle Unternehmen, auch für die derzeit besser positionierten, viel Raum für Verbesserungen gibt. Um weiterhin in Unternehmen zu investieren, die bei der Kreislaufwirtschaft führend sind, wird es daher notwendig sein, die Entwicklungen des Kreislaufwirtschafts-Scores aller Unternehmen in den kommenden Jahren genau zu beobachten. Künftig werden mehr Anreize von politischen Entscheidungsträgern und Regulierungsbehörden erfolgen, um den Unternehmen die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft zu erleichtern. Gleichzeitig müssen die Unternehmen detailliertere Daten vorlegen. Da in den Jahresberichten der Unternehmen neue und qualitativ bessere Daten zur Verfügung stehen werden, wird Eurizon das Framework entsprechend anpassen, um den Grad der Kreislaufwirtschaft eines Unternehmens besser einschätzen zu können.

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