Kein Budget für Fehler – Der Morgan Stanley Global Equity Observer

Der Markt wird weiterhin mit hohen Bewertungen gehandelt. Trotz der leichten Einbußen im September notiert der MSCI World Index immer noch mit dem 18,7-Fachen der Gewinne für die nächsten zwölf Monate – ein Aufschlag von 26 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Bemerkenswert ist, wie gut sich diese Kennzahl im Zuge der Gewinnerholung seit dem Tiefstand im Juni 2020 behauptet hat: In den letzten 15 Monaten hat sie nur um acht Prozent nachgegeben, während die prognostizierten Gewinne des Marktes um 48 Prozent gestiegen sind. Damit weist der Markt Bewertungen auf, die auch zwischen 2002 und 2020 niemals verzeichnet wurden. Manche erklären diese Prämie auf Erträge mit den niedrigen risikofreien Zinssätzen und dem Mangel an Alternativen zu Aktien, doch wenn man sich die derzeitige Gewichtung starker Ertragszahlen ansieht, dann tritt der Gegensatz noch viel deutlicher hervor: der MSCI World Index notiert beim 2,2-fachen der Gewinne für die nächsten 12 Monate – ganze 66 Prozent über dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Diese extrem hohe Bewertung ist auf deutliche Rentabilitätsverbesserungen zurückzuführen und erzeugt Risiken für den Markt. Jede negative Veränderung der Profitabilität wird sich nicht nur auf die Gewinne auswirken, sondern könnte auch die Multiplikatoren beeinträchtigen, was zu einem doppelten Schock für die Märkte führen würde.

„Der MSCI World Index notiert beim 2,2-fachen der Gewinne der nächsten 12 Monate – 66 Prozent über dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre“

Die Unternehmensgewinne wurden begünstigt durch den Rückgang der Unternehmenssteuern und der Zinsen. Die Unternehmenssteuersätze sind in vielen Ländern drastisch gesunken – in den letzten zehn Jahren um fünf Prozentpunkte oder mehr in Frankreich, Italien, Japan und Spanien sowie in den USA und im Vereinigten Königreich. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es einen solchen Rückenwind erneut geben wird, und es könnte durchaus sein, dass er sich sogar in Gegenwind verwandelt, da das Vereinigte Königreich eine Erhöhung um sechs Prozentpunkte auf 25 Prozent ab 2023 angekündigt hat, in den USA eine Anhebung des Unternehmenssteuersatzes diskutiert wird und mehrere Länder auf einen globalen Mindeststeuersatz drängen. Auch die Zinskosten stellen ab diesem Zeitpunkt ein Risiko dar, da sich die Zinsen auf dem niedrigsten Stand seit über 5.000 Jahren befinden. Es ist natürlich möglich, dass sich Unternehmen mit Investment-Grade-Rating weiterhin über praktisch kostenlose Barmittel und „Junk“-Anleihen (der Begriff „Hochzinsanleihen“ ist hier eindeutig die falsche Bezeichnung) mit Fremdkapital ausstatten können, um Investitionskapital zu einem Zinssatz von unter drei Prozent in Europa und etwa 4,5 Prozent in den USA aufzunehmen, doch wird sich jegliche Art von Zinssatz-Normalisierung direkt auf die Rentabilität auswirken. Auch ohne gewinnsteigernde Faktoren wie niedrige Steuern und Zinsen ist die zugrunde liegende Rentabilität hoch, wie ein Blick auf die EBIT-Marge (Gewinn vor Zinsen und Steuern) zeigt. Die für die nächsten zwölf Monate prognostizierte EBIT-Marge liegt bei über 16 Prozent, und damit deutlich über dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre von 13 Prozent, und damit sogar über dem Spitzenwert von 14 Prozent im Jahr 2006 kurz vor dem Platzen der Finanzblase, welche in Folge die globale Finanzkrise auslöste. Zugegeben, es gibt auch Gründe dafür, optimistisch zu sein, dass die Gewinnmargen auf diesem Spitzenniveau bleiben oder sogar noch weiter steigen könnten. Bei einer anhaltenden Konjunkturerholung könnte das daraus resultierende starke Gewinnwachstum zu weiterer operativer Verschuldung führen. Außerdem liegen Gewinnprognosen generell hinter den allgemeinen Konjunkturentwicklungsindikatoren (sowohl nach oben als auch nach unten) zurück, was bedeutet, dass zu den 48% Gewinnzuwachs seit Juni 2020 noch weitere Gewinnsteigerungen hinzukommen könnten.

„Die für die nächsten 12 Monate prognostizierten EBIT-Margen liegen deutlich über dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre und sogar über dem Höchststand vor der globalen Finanzkrise.“

Gegen diese positive Einschätzung steht das Potenzial für erheblichen Kostendruck im Verlauf des nächsten Jahrzehnt. Die derzeitigen COVID-bedingten Marktstörungen dürften abklingen, aber es könnten sich echte strukturelle Probleme ergeben:

  • Die Erfahrungen mit der Pandemie haben dazu geführt, dass Unternehmen nun darauf bedacht sind, ihre Lieferketten robuster zu gestalten, anstatt sich nur auf Effizienz zu konzentrieren. Das wahrscheinliche Resultat daraus sind höhere Lagerbestände und kürzere Lieferketten, was zu Kostensteigerungen führt. Diese Verlagerung entspricht dem Wunsch der Regierungen nach „Onshoring“.
  • Im Verlauf der letzten Jahrzehnte wurde Kapital beständig vor Arbeitkraft priorisiert. Die Aufnahme von Arbeitskräften aus den Schwellenländern in den globalen Pool der verfügbaren Arbeitskräfte und eine ausdrücklich kapitalfreundliche politische Landschaft in den Industrieländern führten zu einer Erhöhung des Anteils von Profiten am Bruttoinlandsprodukt auf Kosten des Anteils von Arbeitskräften und verstärkten dadurch die Ungleichheit in den Industrieländern. Es gibt Anzeichen dafür, dass dieses Pendel allmählich wieder zurückschwingt.
  • Von den Unternehmen könnte erwartet werden, dass sie für die negativen externen Effekte, die sich aus ihren Wirtschaftsaktivitäten ergeben, entweder finanziell aufkommen oder diese beseitigen müssen. Kohlenstoff-Emissionen sind das offensichtlichste Beispiel, und im Moment gewinnt das Thema zunehmend an Dynamik. Es ist zudem wahrscheinlich, dass sich diese Entwicklung in Zukunft noch weiter ausdehnen wird. Plastik, Zucker und Wasser sind physische Güter, bei denen die Kosten für die Gesellschaft in zunehmendem Maße auf die Hersteller abgewälzt werden. Das könnte auch für die gesellschaftlichen und psychischen Kosten gelten, die von den Social-Media-Giganten derzeit abgetan werden.

Preismacht ist der Schlüssel, diese möglichen Kosten weiterzugeben, um Gewinnmargen zu schützen. Auch hier ist das Umfeld schwieriger, da Regierungen und Aufsichtsbehörden den Unternehmen in Bezug auf Kartellrecht und Wettbewerb weniger freundlich gesinnt sind. In einer Welt von COVID-bedingter Knappheit gibt es derzeit besonders viele Chancen, Preise zu etablieren. Besonders deutlich wird dies im Vereinigten Königreich, wo viele bereit sind, fast jeden Preis zu bezahlen für das Privileg, ihr Auto vollzutanken. Aktuell ein global zu beobachtendes Phänomen ist, dass Kinder häufig ihre Eltern dazu drängen, fast alles zu zahlen, um an eine begehrte Xbox oder PS5 zu kommen … Diese Produkte sind derzeit so knapp, dass es den Kindern sogar egal ist, welche der beiden Konsolen sie bekommen! Nun, da sich die Weltwirtschaft allmählich wieder stabilisiert und die Versorgungssituation zum Normalzustand zurückkehrt, aber nach dem Abklingen der Krise die Inputpreise steigen, werden wir bald herausfinden, welche Unternehmen über tatsächliche Preisetablierungsmacht verfügen. Die jüngsten Erfahrungen beim Eisenerz zeigen, wie anfällig die Rohstoffpreise sind, sobald die Knappheit nachlässt.

„In einer Welt von COVID-bedingter Knappheit gibt es derzeit besonders viele Chancen, Preise zu etablieren.“

Das Halten von Aktien qualitativ hochwertiger Unternehmen war im letzten Jahr eine holprige Angelegenheit. Die überraschende Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung von der COVID-19-Pandemie durch massive staatliche Interventionen und Impfstoffe hat die Erträge von qualitativ minderwertigeren Unternehmen in die Höhe getrieben, und diese haben sich daher besser entwickelt. Optimistische Anleger sehen eine Periode starken Wirtschaftswachstums – gestützt von der großzügigen Finanzpolitik der Regierungen – voraus, die eine Fortsetzung der hohen Gewinne ermöglichen kann. Wir befürchten jedoch, dass selbst bei einem günstigen makroökonomischen Umfeld – was keineswegs selbstverständlich ist – der daraus resultierende Kostendruck es für den Markt schwierig machen wird, die prognostizierten Spitzenmargen aufrechtzuhalten, da die wertvolle Preismacht fehlt, die für unsere Aktienauswahl von zentraler Bedeutung ist und die im letzten Vierteljahrhundert einer der Hauptfaktoren für die Kapitalvermehrung in unseren Portfolios war.

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