Mit geringer Kraft voraus

Die hohen Unsicherheiten bei Inflation, Geld- und Geopolitik sprechen gegen eine riskante Positionierung an den Märkten. Aber man kann sich dem Markt auch nicht entziehen.

„Wir denken, dass der Markt immer noch die Hartnäckigkeit der Inflation unter- und die Kapitalmarktfreundlichkeit der Zentralbanken an diesem Punkt überschätzt. Wir werden auch im weiteren Jahresverlauf noch mit manchen Preisanpassung leben müssen.“

Man kann es den Anlegern nicht verdenken, wenn sie die seit 2009 erfolgreiche Strategie „bei Kurseinbrüchen über die Schwierigkeiten hinwegsehen“[weiter verfolgen möchten. Denn seit Beginn der Marktrally 2009 hat es (gemessen am S&P 500) nie länger als ein Jahr gedauert, bis ein Markteinbruch ausgebügelt wurde und man erneut vorne lag. Deutlich vorne lag man stets, wenn man nach dem Einbruch eingestiegen ist. Entsprechend groß war die Verlockung am Anfang des Sommers, als das schlechteste erste Kapitalmarkt-Halbjahr seit Jahrzehnten vermeintlich günstige Einstiegskurse lieferte. Startschuss für die darauf folgende Rally Mitte Juni war ausgerechnet der überraschend große Zinsschritt der Federal Reserve (Fed) von 75 Basispunkten. Solide Quartalszahlen der Unternehmen, ein rückläufiger Ölpreis und eine Abflachung der Inflationsanstiege taten ihr Übriges, um den Anlegern neue Zuversicht einzuflößen. Insbesondere, dass die Fed vielleicht doch noch ein „soft landing“ 2023 hinbekommen würde.  

Und genau hier dürfte sich unsere Prognose am meisten vom Markt unterscheiden: während dieser immer noch davon ausgeht, dass insbesondere die Fed den Fuß wieder von der Bremse nehmen, und bei entsprechend schwacher Konjunktur vielleicht schon wieder mittels Zinssenkung aufs Gas drücken könnte, sehen wir das anders. Die Bekämpfung der Inflation und das Einfangen der Inflationserwartungen, mithin also die Wiederherstellung ihrer Glaubwürdigkeit, dürfte unserer Meinung das übergeordnete Ziel der Fed (auch unter Inkaufnahme einer Rezession) und der EZB bis weit ins nächste Jahr sein. Denn das Thema Inflation wird nicht damit überwunden sein, dass wir die Spitzenwerte hinter uns lassen (in den USA unserer Meinung nach bereits geschehen, in Europa erwarten wir dies im Herbst), sondern die Inflationsraten müssen nachhaltig wieder auf ein Niveau unterhalb von deutlich unter drei Prozent gedrückt werden. Dafür wird es nicht reichen, dass sich die deutlich volatilere Inflation bei Rohstoffen und Waren wieder fängt – denn davon ist angesichts der Sprünge im laufenden Jahr auszugehen. Es sind die nachhaltigeren Inflationstreiber wie Mieten und Löhne, die den Zentralbanken mehr Sorgen bereiten dürften. Hier wäre es deutlich verfrüht, von einer Entspannung im kommenden Jahr auszugehen. Gleichzeitig kehrt der Konsument von einer ausgelassenen post-Covid Sommerferiensause in ein Umfeld heim, das ihm aufzeigt, wie stark sein real verfügbares Einkommen dahinschmilzt. Die schwächelnde Konsumlaune könnte unseres Erachtens eine milde Rezession Anfang 2023 in den USA auslösen.

Wie übersetzt sich dies in unsere Anlageperspektiven? Fangen wir mit der Vogelperspektive an: Anleger werden sich unseres Erachtens in den kommenden Jahren mit deutlich geringeren Realrenditen zufriedengeben müssen – von nominalen Werten dürfen sie sich nicht blenden lassen. Allerdings muss man unserer Meinung nach genau aus diesem Grund auch investiert bleiben, da ansonsten allein die Inflation für einen fast zweistelligen Kaufkraftverlust sorgen wird.

Natürlich sind Staatsanleihen hier nicht das Mittel der Wahl. Einzig die zweijährigen US-Treasuries bieten unseres Erachtens ein wirklich gutes Risiko-Rendite-Profil. Für länger laufende Papiere sind wir noch pessimistischer als der Markt, da wir mit höheren Renditen rechnen (zehnjährige Treasuries 3,25 Prozent, Bundesanleihen bei 1,75 Prozent). Für Unternehmensanleihen ist dieses Stadium des Wirtschaftszyklus zwar nicht der beste Einstiegszeitpunkt. Doch glauben wir, dass die jetzigen Renditen in Europa zu pessimistisch sind, sollte es nur zu einer milden Rezession kommen. Ähnliches gilt für Schwellenländeranleihen. Sie stehen vor einigen Herausforderungen (starker Dollar, globale Wachstumsabschwächung, Inflation), doch haben sich ihre Risikoprämien in den letzten Monaten so ausgeweitet, dass wir ein gutes Rendite-Risiko Profil sehen, wobei die Länderselektion wichtig bleibt.  

Zwar wird Aktien ein besserer Inflationsschutz als Anleihen nachgesagt, aber auch hier dürften die Renditen überschaubar bleiben. Die Konsumlust flaut schneller ab als gedacht, die Einsatzkosten steigen rapide und auch von politischer Seite werden die Begehrlichkeiten auf die Unternehmensgewinne nicht nachlassen. Dazu die andauernden Probleme bei den Lieferketten und die De-Globalisierungstendenzen. An der Börse kommt noch hinzu, dass sich Aktien in diesem Zinserhöhungszyklus ohnehin schwertun dürften, zumal er vom Quantitative Tightening wie in den USA begleitet wird. Unsere Renditeprognosen auf Indexebene sind daher bescheiden, was aber nicht heißt, dass sich nicht attraktive Sektoren oder Unternehmen finden lassen werden. So verbirgt sich etwa hinter dem Minus von 13 Prozent beim S&P 500 seit Jahresanfang ein Plus von 48 Prozent für den Energiesektor und ein Minus von 29 Prozent für den Kommunikationssektor. Wir setzen auf Sektorebene insbesondere auf den Pharmasektor, der defensive Stärken mit Wachstumspotenzial verbindet. Den Immobiliensektor meiden wir hingegen weiterhin. Auf Einzeltitelebene schauen wir uns genau an, wie gut Unternehmen steigende Kosten weitergeben können oder ihre Marge auf andere Weise verteidigen können. Auch bei Alternativen Anlagen, bei denen wir Infrastrukturprojekte bevorzugen, schauen wir auf die Resilienz gegenüber Inflationsschüben. Bei Öl gehen wir davon aus, dass es auf Jahressicht in etwa auf dem heutigen Niveau handeln wird. Gold hingegen könnte unserer Meinung nach in einem Jahr bei fast 1.900 US-Dollar stehen, doch sein Reiz bleibt weiterhin seine Funktion als Portfoliodiversifikator angesichts der anhaltenden geopolitischen und inflationären Risiken. Der Dollar wird unseres Erachtens seine Stärke gegenüber dem Euro nicht über zwölf Monate halten können.

Das verbleibende Jahr verspricht an den Kapitalmärkten nicht langweilig zu werden. Nicht jede volatile Marktphase kann man für sich nutzen, doch könnte gerade in dieser Marktphase eine aktive Vermögensverwaltung ihre Stärken zeigen.

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